
Von Meerjungfrauen, Mauern und Muscheln – eine Reise nach Boulogne-sur-mer im April 2025
Als wir kurz vor Weihnachten erfahren haben, dass unsere Partnerschule in Marchiennes diesmal leider nicht genügend Schüleranmeldungen für einen Austausch hat, war die Enttäuschung erstmal groß. Also musste möglichst schnell eine Idee her, wie wir unsere motivierten und reiselustigen Französisch Schülerinnen und Schüler aus dem Jahrgang 8 trotzdem mit Land und Leuten in Kontakt bringen könnten. Da wir den Norden Frankreichs aufgrund seiner geographischen Nähe zu uns bevorzugen, und ein möglichst vielseitiges Programm bieten wollten, fiel die Wahl auf Boulogne-sur-mer. Mit seinen circa 45.000 Einwohner ist es die drittgrößte Stadt im Département Pas-de-Calais direkt am Ärmelkanal und außerdem bekannt für sein reiches historisches und kulturelles Erbe. Schließlich war sie einst ein sehr bedeutender Hafen und spielte eine wichtige Rolle in den Eroberungsversuchen der englischen Küste unter Julius Cäsar und Napoleon Bonaparte. Und so zieht es auch heute noch Küstenliebhaber, Künstler, Kitesurfer und nicht zuletzt auch einen Reisebus mit Französischschülern des WGM gleichermaßen in diesen Teil Frankreichs.

Gut gelaunt und ausgeruht nach zwei Wochen Osterferien bestiegen 22 Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs 8 und zwei motivierte Französisch Lehrerinnen am Dienstag morgen um viertel nach acht einen Reisebus am Domhof, um ein paar abwechslungsreiche und spannende Tage am Meer zu verbringen. Nach einer reibungslosen Fahrt kamen wir gegen 16 Uhr in der zentral gelegenen Jugendherberge von Boulogne-sur-mer an, wo wir gleich unsere typisch französischen Zimmer beziehen konnten. Der Einzug war flott erledigt und so ging es auch schon kurz darauf zu unserem ersten Programmpunkt, einer Street Art Führung durch die Innenstadt. Hierbei konnten wir nicht nur einen ersten Eindruck von der maritim geprägten Stadt gewinnen, sondern auch viele unterschiedliche Kunstwerke auf den Hauswänden und Mauern bestaunen. Insgesamt zählt die Stadt schon 80 solcher Street Art Gemälde und erwartet wird, dass bei dem diesjährigen 17. Street Art Festival der Stadt noch weitere zwanzig hinzukommen werden. Dabei finden sich besonders häufig Motive mit maritimem Bezug, wie zum Beispiel Meerjungfrauen, Seemänner, Möwen und Fischer, aber auch Hinweise auf ehemalige berühmte Stadtbewohner wie einen südamerikanischen Freiheitskämpfer oder einen bedeutenden Ägyptologen. Mit großem Interesse entdeckten die Schüler immer wieder neue Aspekte und Details auf den Kunstwerken und freuten sich darüber, dass Kunst als universelle Sprache Brücken baut und sogar von denjenigen verstanden wird, die sonst vielleicht weniger fleißig französisch Vokabeln lernen.

Am nächsten Morgen wachten wir leider bei typischem Aprilwetter auf und waren unserem Busfahrer Rudi sehr dankbar dafür, dass er uns zu unserem eigentlich fussläufig gelegenen Ausflugsziel chauffierte. Und so verbrachten wir den Vormittag im Meeresbiologischen Museum und Aquarium Nausicaá, dem idealen Lernort bei Regenwetter. Schon der Name Nausicaá, welcher aus der griechischen Mythologie stammt und für Gastfreundschaft und Meer steht, deutet an, dass dieser Ort eine magische Faszination ausstrahlt. Als größtes öffentliches Aquarium in Europa beherbergt es über 58.000 Meerestiere, die aus den unterschiedlichsten Ökosystemen stammen. So konnten wir beeindruckend große Mantarochen, Hammerhaie, Seelöwen, Quallen, Meeresschildkröten, Pinguine und viele weitere Arten aus nächster Nähe beobachten und teilweise sogar anfassen. An zahlreichen interaktiven Stationen konnte man sich zusätzlich spielerisch mit den Themen Leben in der Tiefsee, Küstenschutz, Umwelt, Klima und Ozeanographie näher auseinandersetzen oder mit Blick auf das Meer einen warmen Kakao trinken und den vielen Fischen rundherum bei schwimmen zusehen. Ein bisschen fühlte man sich hier tatsächlich wie an der Seite von Kapitän Nemo auf seinem Schiff Nautilus aus dem berühmten Roman des französischen Schriftstellers Jules Verne „20.000 Meilen unter dem Meer.“ Aber zum Glück hatte der Regen aufgehört, als wir wieder aus der Unterwasserwelt auftauchten und am frühen Nachmittag im Trockenen zurück zu unserer Jugendherberge marschierten.

Nach einer Mittagspause machten wir uns am Nachmittag bei stetig aufklarendem Himmel auf den Weg zum Cap Gris Nez, einem Küstenvorsprung, der es bei gutem Wetter ermöglicht die nur 35 Kilometer entfernten Kreidefelsen von Südengland zu erspähen. Und tatsächlich hatten wir großes Glück und konnten von einer Aussichtsplattform aus bis nach England sehen. Wer beide Küstenabschnitte kennt, stellt hier unmittelbar fest, dass sich die Landschaften zu beiden Seiten des Ärmelkanals schon sehr ähnlich sehen und höchst wahrscheinlich vor sehr langer Zeit einmal wie bei einem Puzzle zusammengehört haben müssen. Endlich an der frischen Luft und mit den ersten Sonnenstrahlen im Nacken, liefen wir nun Richtung Norden einen pittoresken Küstenpfad entlang bis wir schließlich an dem für diese Region typischen, sehr breiten Sandstrand angelangt waren. Folgte man dem sogenannten Spülsaum, der Grenze der letzten Flut, gab es nun vieles zu entdecken was wir bereits am Vormittag im Aquarium kennengelernt hatten. So fanden wir dort unterschiedliche Muschelarten, Strandkrabben, Seeigelskelette, leere Rocheneier, farbige Steine, Napfschnecken usw. und leider auch Plastikmüll. Hoffentlich wurden die oben genannten Mitbringsel aus der Natur rechtzeitig aus dem Reisekoffer gefischt. Sonst, liebe Eltern, sollten Sie bei unangenehmen Fischgerüchen lieber nochmal die Taschen ihrer Kinder kontrollieren.

Am Donnerstag morgen machten wir uns nach dem Frühstück wieder zu Fuß auf den Weg zur Stadtmauer von Boulogne-sur-mer und der dazugehörigen historischen Schlossanlage. Als wir etwas außer Atem nach dem Anstieg in dem alten Schlossgemäuer ankamen, hatten wir noch keine Ahnung, dass sich die eigentlichen Schätze unter unseren Füßen befanden. Bei der Führung durch die Anlage konnten wir dann bald darauf mit eigenen Augen sehen, wie im Laufe der Jahrhunderte hier immer wieder auf alte Mauern aufgebaut, angebaut und erweitert wurde, was ursprünglich schon von den Römern als Festung und Stützpunkt für die Verteidigung gegen potentielle Angriffe auch aus England auserwählt worden war. Im Laufe der Jahrhunderte und unter unterschiedlichen Herrschern wie unter anderem auch Napoleon Bonaparte oder Ludwig XIV dienten diese Mauern somit unterschiedlichen Zwecken. Einmal als militärischer Stützpunkt, Wasserspeicher für die Stadtbewohner, Gefängnis, aber auch Herrschaftssitz und zuletzt Museum. Im Anschluss an diesen Exkurs in die Geschichte der Stadt aber auch Frankreichs, gab es „freie Zeit“ in der Stadt, die von den Schülern eifrig dazu genutzt wurde endlich mal wieder eine anständige Mahlzeit (Döner) zu sich zunehmen, einzukaufen, oder (sehr vorbildlich) Souvenirs für die Familie zu besorgen und französische Spezialitäten wie ein echtes Croissant aus einer typischen Boulangerie zu verzehren.

Nur wenige Stunden später würde sich die Stärkung am frühen Nachmittag noch auszahlen, denn jetzt stand Sport auf dem Programm. Gut eingepackt gegen den starken Küstenwind und sogar richtig modisch mit Regenhose und Gartenhandschuhen sahen wir wahrscheinlich für Aussenstehende aus wie eine Expedition zum Mond, als wir die Jugendherberge nachmittags wieder Richtung Strand verließen. Unser Auftrag diesmal: Strandsegeln! Endlich war sie da, die Sonne, und schien nun mit voller Kraft auf den breiten Sandstrand von Boulogne-sur-mer, wo schon unsere Küstenfahrzeuge aufgereiht nebeneinander lagen und auf ihre Segel warteten. Nach einer theoretischen Einweisung und mit Helm versehen, durften wir zunächst immer zu zweit unsere Segel aufspannen und die Strandsegler bereit machen. Dann endlich konnten die ersten Versuche im vorbereiteten Parcours unternommen werden. Rückblickend betrachtet haben wir uns tatsächlich alle als Naturtalente erwiesen und hatten großen Spass daran mal mehr oder weniger schnell über den Strand zu brausen. Die Zeit beim Strandsegeln verging tatsächlich wie im Flug und am Ende waren wir uns alle einig, dass wir beim nächsten Mal unbedingt noch mehr davon buchen wollen.

Und dann war er auch schon da, der Freitag, und somit unser Abreisetag. Zuverlässig wie bisher wurden die Zimmer übergeben und Gepäckstücke pünktlich eingeladen, sodass wir noch Zeit für einen letzten Programmpunkt haben sollten. Nach circa 1,5 Stunden waren wir in Lille, der Hauptstadt der Region. Deutlich größer und mondäner als Boulogne-sur-mer, erhält man in Lille eine gute Vorstellung von dem französischen Großstadtflair, das vielen aus aus Film und Fernsehen („Emily in Paris“) bekannt ist. So wollten auch wir einen kurzen Blick auf das historische Rathaus und den angrenzenden Marktplatz erhaschen, bevor wir nochmal kurz ein wenig „freie Zeit“ in der Einkaufspassage zwischen den beeindruckenden Häuserfassaden gewährten. Aber wir befanden uns ja immer noch auf einer Bildungsreise und nicht auf einer Kaffeefahrt, wie ein Grenzpolizist wenig später fälschlicherweise bei unserem Anblick vermutete (die Schüler hatten sich überwiegend schlafend im hinteren Teil des Busses versteckt). Daher war unsere letzte Station das „Musée des Beaux Arts“, das zweitgrößte und bedeutendste Kunstmuseum Frankreichs, nach dem Louvre in Paris. Inzwischen waren wir ja schon Street Art erfahrene, angehende Kunstkenner und trotzdem beeindruckten uns nicht nur die Größe des Museumsgebäudes, sondern auch die darin ausgestellten Kunstwerke. Der Favorit der meisten war laut Berichten das Gemälde mit dem Engel mit den Schmetterlingsflügeln, welches dem Betrachter die Vergänglichkeit des Lebens vor Augen halten und zu einem bewussteren Leben anregen möchte. Ganz in diesem Sinne (Carpe diem!) hat unsere kleine Reisetruppe sicherlich eine sehr bereichernde und abwechslungsreiche Zeit in Frankreich verbracht. Und es hat sich hoffentlich an der ein oder anderen Stelle gezeigt: Sprachen lernen erweitert den Horizont und verbindet Menschen miteinander, es ist der Schlüssel zum Erwerb von kulturellem und historischem Wissen und es baut Brücken!

Text und Fotos: Lisa Braun
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