Ob die Absage von Klassenfahrten ein geeignete Protestmittel ist, dazu gibt es auch unter den Lehrern verschiedene Ansichten. Im Nordwesten herrscht vielerorts Zurückhaltung.
Für Hartwig Ahrens, den Sprecher des Plenums der Personalräte der Gymnasien und Kooperativen Gesamtschulen im Bereich Weser-Ems (PPNG), zeigt die Einigkeit von Philologenverband bis Gewerkschaft, wie groß der Unmut in den Kollegien über die bevorstehende Heraufsetzung der Pflichtstundenzahl durch die Landesregierung ist. Der 57-jährige Lehrer des Osnabrücker Ratsgymnasiums: „Bis zum Sommer werden noch weitgehend alle Fahrten wie geplant stattfinden, aber dann sind wir zu diesen freiwilligen Mehrstunden nicht mehr bereit.“ Die Folge: Alle Klassen- und Studienfahrten an den 14 beteiligten Schulen werden ab August erst einmal ausgesetzt. Ausnahmen sind nur bei Schulaktionen vorgesehen, deren Absage mit Kosten verbunden ist.
Die Region Osnabrück ist nach Ahrens’ Angaben nicht Speerspitze des Protests gegen die rot-grüne Landesregierung, sondern es handele sich um eine „flächendeckende Bewegung“. Er gehe davon aus, dass sich mehr als 90 Prozent der Gymnasien im Bundesland der Resolution der niedersächsischen Personalvertreter anschlössen. Die Frage sei nur, „wie schnell wir das koordiniert kriegen“.
Bildungsexperte Klaus Hurrelmann wertete dieses Vorgehen der Gymnasiallehrer als „Quasi-Streikverhalten“ der größtenteils verbeamteten Pädagogen, dem „mit schulrechtlichen Mitteln kaum beizukommen ist“. Das Vorgehen wurde „so gewählt, dass es Schülern und Eltern nicht gefällt, um sie gegen die Landesregierung zu mobilisieren“.
Mit Blick auf die verschiedenen Unterrichtszeit-Maßgaben in den Bundesländern plädierte Hurrelmann für eine Angleichung. „Die 16 Bundesländer wären gut beraten, über die Kultusministerkonferenz zu einer einheitlichen Regelung zu kommen“, so der Wissenschaftler. „Das würde Ruhe hineinbringen.“ Auch im Hinblick auf die Gleichwertigkeit der Oberstufen in verschiedenen Schulformen müssten die Fragen nach unterschiedlicher Besoldung, Qualifikation oder Arbeitszeit der Lehrkräfte beantwortet werden. Derzeit drehe sich die Debatte lediglich „um den Abbau von Privilegien“.
Hingegen bewertete der Deutsche Philologenverband die um sich greifenden Lehrerproteste gegen die Erhöhung ihrer Pflichtstundenzahl als „starkes Zeichen“. Verbandschef Heinz-Peter Meidinger sagte unserer Zeitung, Reaktionen wie die Aussetzung von Klassen- und Studienfahrten seien absolut verständlich. Es gehe dabei um die Streichung bisher freiwillig erbrachter Zusatzleistungen. Auffallend sei die große Übereinstimmung der unterschiedlichen Lehrerverbände. Meidinger warf der Landesregierung vor, im „Hauruckverfahren“ die Arbeitszeitverlängerung durchsetzen zu wollen. „Besser als Grabenkämpfe sind Gespräche“, sagte Meidinger. Zu überprüfen sei, ob zum Beispiel eine Befristung der Arbeitsverlängerung einen Ausweg bedeuten könne.
Der Bundesvorsitzende des Philologenverbandes nannte es „höchst bedauerlich“, dass die Schüler die Leidtragenden der unnachgiebigen Haltung des Landes sein sollten. Sie würden durch den Fortfall von Klassenreisen einer „schönen Erfahrung im nicht immer abwechslungsreichen Schulleben“ beraubt.
Nach Angaben Ahrens’ gilt die nun getroffene Regelung für das Artlandgymnasium in Quakenbrück, Greseliusgymnasium in Bramsche, die Gymnasien in Bad Essen, Bad Iburg, Bersenbrück, Damme, Melle und Oesede sowie das Osnabrücker Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium, das Carolinum, das Gymnasium „In der Wüste“, das Ratsgymnasium, das Graf-Stauffenberg-Gymnasium und die Gesamtschule Schinkel. Es sei noch nicht abschließend geklärt, ob sich auch die Kollegien von Angela- und Ursulaschule beteiligen, da es sich um Privatschulen handele.
Im Emsland wird es weiterhin Klassenfahrten geben, aber voraussichtlich nicht im gewohnten Umfang. Noch sind nicht an allen Schulen die Gespräche abgeschlossen. Ute Lott, Leiterin des Windthorst-Gymnasiums Meppen, weist darauf hin, dass es in jedem Fall eine individuelle Entscheidung der Lehrkraft ist, ob eine Klassenfahrt stattfinden kann. An wichtigen Angeboten will die Schule festhalten. Noch sei unklar, wie eine Entlastung der Lehrer aussehen könne, die Klassenfahrten organisierten und begleiteten.
Michael Heuking vom Gymnasium Haren sagt, dass die Grenzen der Belastung schon vor der Erhöhung der Stundenzahl überschritten waren. Dennoch will sein Kollegium auf Klassenfahrten nicht verzichten. In Haren wird geprüft, ob eine Vereinfachung der von den Lehrpersonen verlangten Verwaltungsarbeit zu einem Ausgleich der zusätzlichen Belastung beitragen kann. Auch am Kreisgymnasium St. Ursula in Haselünne wird der Deregulierungserlass des Landes darauf geprüft, ob er zu einem Bürokratieabbau beitragen kann, der Zeit für pädagogische Arbeit lässt.
Keine neue Entwicklung gibt es am Gymnasium Ulricianum in Aurich. Seit der bislang letzten Personalversammlung im November 2013 wurden Klassenfahrten und die anderen freiwilligen Leistungen der Lehrer laut Schulleiter Dieter Schröder nicht mehr thematisiert. Ihm sei nicht bekannt, dass bereits irgendwelche Fahrten abgesagt worden seien. In Emden haben sich die Lehrer zweier Gymnasien entschieden, keine Klassenfahrten mehr durchzuführen. An den übrigen Gymnasien in Ostfriesland wird kontrovers über das Thema diskutiert. Zwei der sechs Gymnasien in der Grafschaft Bentheim beteiligen sich am Boykott. Die übrigen warten noch ab.
Auch auf einer anderen Ebene herrscht noch Unklarheit: Der Geschäftsführer des Landesverbands Unterweser-Ems des Deutschen Jugendherbergsverbands, Thorsten Richter, betont die hohe Bedeutung von Klassenfahrten für Jugendherbergsbetreiber. Schulausflüge machen dem Verband zufolge rund 50 Prozent aller Übernachtungen aus: „Das ist lebenswichtig für uns.“ Bislang seien etwa 5000 von rund 300000 schulbasierten Übernachtungen storniert worden. „Eine kleine Zahl, aber mit zunehmender Tendenz“, sagt Richter: „Wir wissen nicht, wo das hinführt.“
Quelle: Meppener Tagespost vom 16. Jan. 2014